Prolog
Auf dem Weg ich mich befind
Zurück lass ich Frau und Kind
Mein ganzes Lebenswerk
Ich fühle mich völlig entehrt
Schuldig des Königsmords
Und das nur aufgrund eines Worts
Die dunkle, hölzerne Tür flog auf und knallte laut vor die steinerne Wand. Vier kräftige Soldaten in den lila und schwarz karierten Wappenröcken der Stadt kamen hereingestürzt und ergriffen Istvan. Aus dem Schlaf gerissen wusste der junge Mann gar nicht, wie ihm geschah. Er spürte nur die Gewalt und Rohheit der vier Männer, die ihn vor die Tür zerrten, die sie beim Betreten der kleinen Behausung zerstört hatten. Istvan hatte keine Zeit, über diese Tatsache weiter nachzudenken. Ihm wurde übel vom Geruch der Männer. Sie stanken nach Serdjem, einem alkoholischen Getränk, das scheinbar im Hals des Konsumenten weiter gärte, sowie nach Siram, dem etwas streng riechenden Ziegenkäse, der eine Spezialität der Hafenstadt war. Weithin kannte man diesen Käse auf der Welt und schätze oder hasste ihn. Dazwischen gab es nichts, nur diese Extreme.
Voller Angst schrien seine Frau und die kleine Tochter, bis ein Soldat beide niederschlug und liegen ließ. Der Gefangene bekam das gar nicht wirklich mit, brutal wurde er gerade in Ketten gelegt und vorwärts geschleift von den Kriegern der Stadtwache. Tausende Gedanken jagten sich im Kopf des Mannes, der vorwärts gestoßen wurde und nur in seiner alten Tunika, in der er zu schlafen pflegte, durch die Gassen stolperte. Was sollte das? Was lief hier falsch?
In einem früheren Leben hätte er sich versucht zu wehren, hätte er gekämpft. Aber der Krieg lag hinter ihm, nie wieder wollte Istvan kämpfen, um sein Leben fürchten müssen, töten.
Sie schafften ihn in den Kerker und stießen ihn die Treppe herunter bis in die große Kammer im Zentrum des Bauwerks. Wer hier landete, hatte wenig Aussicht auf Überleben oder auch nur einen fairen Prozess. Die Kammer war nicht einfach irgendein Ort in der Stadt, sondern Quell absurder Geständnisse und grausamer Kreativität. Die Mägde und Knechte dort nahmen ihre Aufgaben sehr genau und erfüllten sie schon mal vor Eifer ein wenig über. Die Eisen klickten und schlossen sich um Istvans Gelenke, und seine letzten Stunden begannen. Sie wurden viel unangenehmer als er es sich selbst hatte vorstellen können. Als er erfuhr, was ihm vorgeworfen wurde, musste er erkennen, dass es für ihn nun keinen Ausweg mehr gab. Sie sagten, er habe den König ermordet, den sanften Souverän der Stadt, der es sicherlich nicht verdient hatte, gemeuchelt zu werden, es sei denn um Platz zu machen für einen machthungrigen Nachfolger. Warum sie dafür einen Sündenbock benötigten war nicht ganz klar. Aber Istvan war nun einmal nicht von hier, er hatte sich nur hier niedergelassen und eine Familie gegründet. Er war der unheimliche Mann von Außerhalb. Sie redeten darüber, dass er dereinst eine Art von Söldner war. Ein Krieger, der lange gekämpft hatte, und dessen Heer sich geschlagen aufgelöst hatte. Er bot sich eigentlich an.
Es hatte nicht lange gedauert, und der ehemalig Krieger hatte gestanden. Sie würden ihn grausam töten, öffentlich, das musste nicht durch ein heldenhaft in die Länge gezogenes Vorspiel noch perfektioniert werden.
Unschuldig vorwärts geschleift
In mir die Erkenntnis reift
Dass mein Weg zu Ende ist
Die letzten Meter sind die Henkersfrist
Hoch zum Schafott, dann ist es vorbei
Ich war doch immer Königs treu
Doch den Mord ich ihnen gestand
Tief im Keller an der Wand
Der Weg durch den Ort war die Hölle. Sie bewarfen ihn mit Steinen, spuckten, schlugen nach ihm. Istvan wusste nicht, wie oft er gestürzt war, getroffen von etwas Hartem. Er wusste nur noch, dass er kaum selbst lief, sondern vorwärts geschleift wurde. Sein Körper schmerzte von der Folter im Keller, sie hatten einige Dinge an ihm ausprobiert. Mindestens eine Rippe war gebrochen, und sie mochte ihm jeden Moment in die Lunge dringen und diese Prozedur deutlich abkürzen – Hoffnung auf ein baldiges, nicht ganz so schreckliches Ende.
Die Krieger zerrten ihn hinauf auf die Richtbühne, damit das Volk genau sehen konnte, was nun geschehen würde. Schreie würden sie hören, Blut würde spritzen. Dieser Fremde musste sterben. Er hatte den König erdolcht, mitten in der Ruheperiode. Seine Herrlichkeit hatte geschlafen. Das hatte dieser feige Meuchler ausgenutzt, der sicherlich allein zum Zweck dieses verwerflichen, unnötigen Mordes hier lebte. Die Soldaten, nichts weiter als Handlanger der neuen Machthaber, schäumten innerlich, doch das Volk sollte teilhaben am Tod dieses hinterhältigen Bastards.
Das war der Plan, doch es kam nie dazu, dass er ausgeführt werden konnte. Pfeile schwirrten durch die Luft und schlugen in die Körper der Krieger und des Schafrichters. Dann laute Schreie und das Trampeln von Hufen auf dem Pflaster. In Panik rannte das Volk auseinander, die Soldaten der kleinen Hafenstadt streckten ihre Waffen. Da waren andere Krieger, in schwarz-weißen Waffenröcken, mit Lanzen und Schwertern, und sie kamen herangeritten. Die Lanzen zeigten ein Banner, ebenfalls schwarz-weiß, mit einem schwarzen, nach oben weisenden Dolch im weißen Feld. Vor der Richttribüne zügelten sie ihre Tiere und ergriffen Istvan, zogen ihn auf eines der Tiere und ritten mit erhobenen Standarten aus der Stadt. Niemand wagte es, sie aufzuhalten, denn niemand konnte sicher gehen, dass sie wirklich nur zu Zweit waren. Ihre Mitstreiter mochten sich nur für diesen Moment versteckt halten und dann die gesamte Stadt dem Erdboden gleich machen. Das waren erfahrene Krieger, die schon ganz andere Schlachten offensichtlich überlebt hatten.
Und nun waren es die neuen Machthaber, die eine Weile schäumten, dann jedoch den Beweis für eine schreckliche Verschwörung hatten. Und damit aus dem Schneider waren. Schnell machte eine alte Sage die Runde, die Geschichte des Kriegerordens, der aus unerfindlichen Gründen – das Wort ging um, dass sie von göttlicher Weisheit geführt wurden – Herrscher ermordete. Und der es scheinbar auch nicht duldete, dass seine Anhänger gefoltert und auf dem Schafott zur Rechenschaft gezogen wurden. Für einen sehr langen Augenblick hielten viele Herrscher den Atem an. War ihre letzte Stunde gekommen? Würden die Krieger auch in ihre Stadt einfallen und sie erdolchen, wie es der Sage nach geschehen musste?
1. Kapitel
Sie kommen immer zu dritt.
Nur drei sind es, doch sie bringen den Tod.
Und wer auserwählt ist, weiß es schon,
wenn sie am Horizont auftauchen,
wenn das Wort vor ihnen die Stadt erreicht.
Drei Reiter kommen,
und sie können nicht aufgehalten werden.
Ich weiß es, denn ich war dabei.
„Alter, das war aber mal knapp!“, sagte Nit'ram Shugg, einer der beiden Reiter. Er war ein muskulöser Mann in der Dreißigern, mit, langem, lockigen braunen Haar und dunklen Augen. Seine Nase wies leicht nach oben, und seine hervortretenden Wangenknochen gaben ihm etwas Nagetier artiges, wenn er grinste. Doch Nit'ram grinste gerade nicht, sondern sah den geretteten und völlig zerlumpten Freund mit großen Augen an. Istvan lag auf dem Rücken am Ufer eines Flusses, gar nicht so weit entfernt von Fernem Lod, der Stadt, die sie in Angst und Schrecken versetzt hatten und die nun einen neuen Schafrichter benötigte. Nit'ram beugte sich mit seinen breiten Schultern über ihn und besah sich die Wunden. Keine Frage, den Krieger hatte es heftig erwischt. Doch waren sie nicht alle schon unzählige Male verwundet worden? Ihm lag eine spitze Bemerkung auf den Lippen, doch Nit'ram schluckte sie einfach herunter. Sie hatten ein anderes Problem, und darüber mussten sie reden. Sie hatten Istvan nicht nur aus reiner Freundschaft gerettet; schließlich verhielt es sich so, dass sie sich eine lange Zeit schon nicht mehr gesehen oder nur voneinander gehört hatten.
Bis vor einigen Tagen eine Göttin an sie heran getreten war. Und sie hatte einen Wunsch geäußert. Götter nannten das zwar so, de facto meinten sie jedoch einen Befehl, den es auszuführen galt. Sie beide sollten Istvan suchen, finden und mit ihm in den Tempel von Heremos Goqq kommen. Diesen Ort zu finden stellte zwar eine Hürde dar, jedoch eine scheinbar nicht so gewaltige wie das Aufsammeln von Istvan; der war gerade abgeführt worden. Und so hatten sie ganz tief in die Kiste der Täuschungen greifen müssen. Zu zweit hatten sie die Stadtwache auf dem kleinen Forum glauben machen müssen, von einer Übermacht umzingelt zu sein. Das erforderte Schnelligkeit, Treffsicherheit und unglaubliches Glück. Es hatte keine Garantie gegeben, dass die Krieger von Fernem Lod auf diesen Taschenspielertrick herein fallen würden. Doch ihr sicheres Auftreten, die Gewohnheit, sich in Rüstung und auf dem Aldjuq zu bewegen und Macht auszustrahlen, hatte die Soldaten der kleinen Stadt geblendet. Einmal noch war es gut gegangen, doch jeder, der ihre Geschichte gekannt hätte, wäre nicht derart leicht zu beeindrucken gewesen.
Begonnen hatte es vor langer Zeit, als sie noch jung waren. Es waren kriegerische Zeiten, und Tod und Elend wohnten in beinahe jedem Haus. Damals war es ein leichtes gewesen, irgendwie aus dem Leben, in das sie geboren waren, in die unterste Klasse der Eliten aufzusteigen. Es verlangte etwas Disziplin, großen Mut und die noch größerer Portion Glück, die Kämpfe zu überleben, und plötzlich waren sie Ritter, Krieger, die ein Aldjuq und ein großes Haus besaßen. Woher sie ihre Mitstreiter bekamen war ihnen überlassen, sie mussten nur Männer und Frauen beisammen haben, wenn der Herr des Landes zum nächsten Waffengang rief. Und er rief oft.
Manches Mal war es sehr eng, und eines Tages wurde ihr Heer vernichtend geschlagen. Nur wenige entkamen dem Massaker, das die Sieger veranstalteten, bevor sie eine blutige spur bis in ihre Heimat zogen und die freien Ländereien mit Günstlingen ihres Herrn besetzt wurden. Sie hatten ihre Ausrüstung damals an einem sicheren Platz versteckt, wissend, sie niemals wieder zu benötigen, und hatten sich getrennt. Doch die Wogen des Schicksals spülten sie drei an die Gestade der göttlichen Vorsehung. Sie, und niemand anderer sollte diese Aufgabe erledigen. Nit'ram fröstelte bei dem Gedanken an die Worte der Götttin.